Jeder Handwerker führt seinen Stammbaum in direkter Linie zurück bis zum Erfinder des Rades. Als oberste Krone der Schöpfung,
als wahrer
Übermensch, beglückt uns aber erst der selbstständige Fliesenleger. Wo wären wir ohne Rad? Wo wären wir ohne Fliesenleger? Er arbeitet wortkarg und allein. Allein, weil kein Mitarbeiter an ihn heranreichen könnte. Wortkarg, weil er die noch nie mochte, die sich gut ausdrücken können und deswegen weniger tun müssen, aber mehr kassieren. Und er arbeitet - und hasst den Unternehmer, der stumpfe Sklaven aussaugt. Der Fliesenleger steigt aus seinem keramischen Olymp in unser Badezimmer herab und erweist uns die Gnade, das Unmögliche zu bewerkstelligen: Er kachelt die Nasszelle.
Flexibel und dank unmessbarer Intelligenz löst er die kniffligsten Eckenprobleme. Den nur er allein
befindet sich im Besitz des allumfassenden Durchblicks. Grundsätzlich, auch weit jenseits von Wanne und Kloschüssel. Liesse man ihn nur “ran”, er wäre imstande , alle Probleme der Welt
nur unter Zuhilfenahme seines gesunden Menschen- - nein sagen wir lieber - Handwerkerverstandes und natürlich seiner Kombizange zu lösen. Sollte es je die Weltherrschaft eines kompetenten
Autokraten geben, die wirklich gerechte Diktatur, unter der niemand zu leiden hätte, der es nicht wirklich verdient hätte - ein Fliesenleger stünde an der Spitze.
Aber, und das macht den selbständigen Fliesenleger zum typischen BMW-Fahrer, aber leider wird es nie
soweit kommen. Denn die Menschheit ist einfach zu dumm, das Genie eines Fliesenlegers zu erkennen. Besässe sie nämlich diese Intelligenz gäbe es weltweit nur Fliesenleger.
So kampiert der Fliesenleger als rastloser Einzelgänger und Einzelkämpfer an der Grenze zum verkannten
Genie. Nichts erträgt er weniger als die Ignoranz der anderen, denen man erst etwas erklären muss, bevor sie es begreifen. Da macht er es in der halben Zeit lieber alleine. Es gibt Dinge, die kann man einfach. Er richtet sich in seinem hermetischen Universum ein und wäre mit sich, seinem Videorecorder und seinen rasanten Fahrten im BMW glücklich, wären da nicht die anderen, die sich für was Besseres halten und sich von ihm das Bad mit Keramik vollkleben lassen.
Eigentlich müssten sie ihm alle dankbar sein und zu Füssen liegen, aber in der Praxis spielen sich die
dümmsten Laien noch als Chefs auf. Niemand leidet so sehr wie der Fliesenleger unter dieser Welt, in der das schnöde Geld regiert und Könner- und Kennerschaft daneben verblassen. Kurz : Die Welt ist ungerecht. Besonders zum Fliesenleger.
Nicht ohne Selbstmitleid rächt er sich an dieser Verschwörung der Stinknormalen, besonders an
den akademischen Mercedes - Fahrern, durch gnadenlos überhöhte Preise und gelegentlichen Pfusch: “Immer noch gut genug für solche Idioten”. So steht er vor uns der Handwerker:
Die ignorante Menge sieht in ihm den pubertären Spezialisten und versagt ihm den angemessenen Respekt. Er wird gebraucht aber nicht ernstgenommen. Professionell aber nicht stimmberechtigt. Man ist nett zu ihm bis es ans bezahlen geht. Er muss BMW fahren.
Gefunden in: BMW-Fahrer, Achim Schwarze, Eichborn Verlag 1989
|